Das Ende der Fahnenstange ist erreicht

Ein Artikel von Christoph Bommes, PPM Agrarberatung | 09.11.2021 - 11:57

Schon seit Jahrzehnten ist eine immer ausgeprägtere Entwicklung resistenter Ungräser und Unkräuter zu erkennen. Die Ursachen hierfür sind genauso vielfältig wie ihre möglichen Gegenmaßnahmen, deren Umsetzung in den Betrieben jedoch nur schleppend erfolgt, während die Resistenzentwicklung von Anbausaison zu Anbausaison zunehmend an Fahrt gewinnt und immer größere Ausmaße annimmt.

Wie konnte es soweit kommen?

Der Anbau von Hackfrüchten wie Zuckerrüben oder Mais in engen Fruchtfolgen oder beim Mais gar in Selbstfolge sind gängige Praxis auf vielen Betrieben. Die Anpassung vorhandener Unkrautpopulationen an immer gleiche Anbaubedingungen ist ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche evolutionäre Strategie. Diese Anpassung verläuft auch noch exponentiell – mit jedem Anbaujahr verdoppelt und vervielfacht sich der Besatz mit resistenten Biotypen, erst 2-fach, dann 4-fach, dann 8-fach, dann 16-fach usw. bis es dem Landwirt buchstäblich über den Kopf wächst.

Es gibt nicht beliebig viele Wirkmechanismen, die für den chemischen Pflanzenschutz in Frage kommen, die meisten davon sind bereits ausgereizt (s. PA 3/2021). Die ausbleibende Entwicklung neuer Wirkstoffe für den ­chemischen Pflanzenschutz leistet dieser Entwicklung weiteren Vorschub. Die letzte „neue“ Wirkstoffgruppe, die Karotinsynthesehemmer, wurde in den 1990er Jahren eingeführt und kommt überwiegend im Maisanbau zum Einsatz. Die allgegenwärtige Diskussion um den Einsatz von Glyphosat lässt vergessen, dass keine Alternativen mehr innerhalb des Forschungs- und Entwicklungsbereiches chemischer Pflanzenschutz gesucht werden, die aufwändigen Zulassungsverfahren lassen keine Perspektive in der Pipeline erkennen. Neue Wirkstoffe sind nicht in Sicht!

Alter Wein in neuen Schläuchen

Handel und Hersteller behelfen sich mit „neuen“ Packs, die allerdings nur bereits bekannte Wirkstoffe in anderen Kombinationen und Mischungsverhältnissen als bisher zur Verfügung stellen. Dies ist bestenfalls ein Ausdruck der Ratlosigkeit und schlimmstenfalls ein Hinweis auf beginnende Panik. Die neuen Mischungsempfehlungen lösen keines der beschriebenen Probleme, im Gegenteil: Die anfängliche Wirksamkeit schwindet bereits nach kurzer Zeit durch die erneute Selektion resistenter Biotypen. Diese sind dann noch breiter im Feld etabliert als zuvor. Dazu kommen noch Umschichtungen im Artenspektrum, wie ebenfalls im Pflanzenarzt 3/2021 beschrieben.

Weichenstellung im Betrieb muss jetzt erfolgen

Was also ist zur Vermeidung oder zumindest zur Eindämmung von Resistenzen genau zu tun? Zuerst muss festgestellt werden, wo der Betrieb in diesem Zusammenhang steht. Tab. 1 fasst Empfehlungen der HRAC zur Vorgehensweise zusammen. Der erste Schritt liegt für die pflanzenbauliche Praxis in der Kombination von chemischen und mechanischen Maßnahmen – es gilt den Nachteil von immer länger und immer häufiger auftretenden Trockenperioden in einen pflanzenbaulichen Vorteil umzumünzen.

Nur noch Schweiß und Eisen?

Das nassgeschwitze Hemd beim Durchfahren einer Kultur wie der Zuckerrübe oder des Maises mit der Reihenhacke sollte der Vergangenheit angehören – RTK- bzw. DGPS-geführte Schlepper sind auch in Österreich bereits Standard und kamerageführte Hacksysteme sind dem Prototypenstadium längst entwachsen. Außerdem zeigen sich schon seit Längerem auch die Vorteile der Einzelkornablage bei sonst breit gedrillten Kulturen. Besonders im Raps ist diese Weichenstellung längst von Erfolg gekrönt. Diese Entwicklung ermöglicht weitere Fruchtfolgen mit aufeinander abgestimmten Drill- und Hacksystemen sowie Bandspritzungen. Zur Planung der technischen Ausstattung hilft folgende einfache Regel:

  • Striegel vor Grubber und
  • Rollhacke vor Scharhacke

Vor allen die Möglichkeit des Frontanbaus erleichtert den Einstieg in kostengünstige Systeme.

  • Eine bemerkenswerte Entwicklung stellt die über Gleitkufen geführte Sichelhacke dar.
  • Rollstriegel: Dieses Baukonzept vereint die Vorteile der Rollhacke mit der Flächenleistung des Striegels. Die Fahrgeschwindigkeit orientiert sich aber eher am Hacksystem. Ein wichtiger Vorteil ist der störungsfreie Einsatz in Mulchsaaten.
  • Fingerhacke: Die Fingerhacke ermöglicht eine Unkrautkontrolle in der Reihe ergänzend zum vorgelagerten Standardwerkzeug zwischen den Reihen. Sie stellt einen kostengünstigen Einstieg im Vergleich zu sensorgesteuerten Werkzeugen dar.

Bei der Auswahl eines Fabrikats ist darüberhinaus auf jeden Fall die Option einer Bandspritze als arbeitswirtschaftlicher Vorteil zu berücksichtigen – denn es wird auch immer wieder nasse Jahre geben. Im Futterbaubetrieb ist der Wechsel mit Gras, Mais und Getreide anstelle einer Mais-Selbstfolge eine praktikable Alternative, um Resistenzen einzudämmen oder gar zu unterbinden. Die Selbstfolge nur von Mais oder Winter­getreide muss der Vergangenheit angehören. Auch drei Kulturen sind noch zu wenig. Wer ab und zu mal eine Sommerung und sonst nur Wintergetreide anbaut, erhöht ebenfalls mittelfristig das Risiko der dauerhaften Resistenzentwicklung. Der Wechsel von Winterweizen zu Wintergerste stellt keinen Abfolgeschritt einer Fruchtfolge dar.

Der Weg zum schlagspezifischen Resistenzprofil

Resistenzen sind schlagspezifisch. Ausgangsbasis ist der Genpool einer Pflanzenpopulation auf dem jeweiligen Acker. Dann kommen die betriebsspezifischen Strategien und die Verkaufspolitik der Lagerhäuser hinzu. Die Gemengelage ist brisant, weil pauschale Empfehlungen bei der Mittelwahl oft in katastrophale Auswirkungen münden. Hier hilft nur eine gezielte Maßnahmenwahl. Um Mittelwahl, Bekämpfungsweise und Fruchtfolge pass­genau zu entwickeln, werden zuerst auffällig gewordene Schläge untersucht.

Am einfachsten gelingt der Einstieg mit einem sogenannten Blatttest, der in erster Näherung einen Überblick über das Resistenz-Szenario auf den Schlägen des Betriebes ermöglicht. Stehengebliebene Unkräuter sollten zur Samengewinnung für eine Samenprobe im Zeitraum Juli/ August herangezogen werden, um durch vertiefende Untersuchungen die Ausarbeitung einer langfristigen ­Bekämpfungsstrategie zu ermöglichen. Ein auf diese Weise gewonnenes Resistenzprofil ist als Grundlage der mittelfristigen Herbizidauswahl und der Maßnahmenstrategie sinnvoll.

Der Versand kann wie bei Bodenproben auch per Post erfolgen. Frisch gesammeltes Material kann im Innenraum für eine Woche liegen und nachtrocknen (auf Papier ausbreiten und liegen lassen). Danach das Saatgut in einen großen reißfesten Papiersack füllen und unverzüglich versenden, damit ein Verderben oder Silieren des Materials ausgeschlossen werden kann. Das Labor kümmert sich im weiteren Verlauf um Trocknung und Aufarbeitung. Für Rückfragen und Hinweise steht der Verfasser gerne zur Verfügung.

Was geschieht im Labor?

  • Der Blatttest: Im Blatttest wird das Erbgut einer Pflanze an ausgewählten Blattproben analysiert. Bestimmte Resistenzen (Target-Site- bzw. Wirkortresistenzen) lassen sich mit dem Blatttest diagnostizieren. Dazu werden sogenannte SNPs analysiert (Single Nucleotide Polymorphisms bzw. variierende Abschnitte im Erbgut, die eine Resistenz gegen einen bestimmten Wirkort bewirken). Diese SNPs werden für eine Diagnose herangezogen. Die Blatttests werden wirkstoffspezifisch durchgeführt.
  • Der Sensitivitätstest: Der Sensitivitätstest ist ein Biotest, d.h. er wird an lebenden Pflanzen zur Prüfung der Herbizidempfindlichkeit von Ungräsern vor dem betrieblichen Herbizideinsatz durchgeführt. So kann der Erfolg einer durchzuführenden Herbizidmaßnahme abgesichert und das optimale Herbizid identifiziert werden. Auch Resistenzen können so rechtzeitig identifiziert werden. Der Sensitivitätstest eignet sich somit als Frühwarnsystem. Der Test findet Anwendung bei allen gängigen Herbizidprodukten für die Gräserbekämpfung aus den Bereichen HRAC A (FOPs/DIMs), HRAC B (Sulfonylharnstoffe etc.) und HRAC G (Glyphosat).
  • Der Resistenztest: Der Resistenztest erfolgt ebenfalls mit lebenden Pflanzen und dient dem Nachweis einer Herbizidresistenz in Gräsern. Er wird bei einer beobachteten Minderwirkung im Feld an den überlebenden Pflanzen nach Abschluss der Wirkung (etwa vier Wochen nach Herbizidbehandlung) durchgeführt. Der Test findet bei allen gängigen Herbizidprodukten für die Gräserbekämpfung aus den Bereichen HRAC A (FOPs/DIMs), HRAC B (Sulfonylharnstoffe), HRAC G (Glyphosat), HRAC K1 (Pendimethalin, Kerb) und HRAC K3 (Flufenacet) Anwendung. Minderwirkungen von Herbiziden können vielerlei Ursache haben. Vielleicht ein Anwendungsfehler? Eine Ausschlussdiagnose kann hier Hilfestellung leisten und Ihren ersten Verdacht erhärten. Ein Resistenztest liefert Ihnen den Beweis ob tatsächlich eine Resistenz vorliegt. So machen Sie aus einer bloßen Vermutung Fakten.

Vermeidung von Verdichtung

Vermeidung von Verdichtung und Fehldüngung/Fehlernährung sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, da die gegebenen Wirkstoffe nur dann ihre Wirkung entfalten können, wenn die Kulturpflanze auch optimale Wachstumsbedingungen hat. Denn Bodenverdichtung und Bodenversauerung stellen ebenfalls einen Selektionsdruck her, der in den oben beschriebenen Folgen mündet.

Das System des Controlled Traffic Farmings (CTF) ermöglicht die Reduzierung der maschineneinsatzbedingten Verdichtungen auf ein Minimum. Die beschriebene Entwicklung führt zu gravierenden Konsequenzen bei der Gestaltung und Bewältigung der betrieblichen Abläufe – eine Anpassung an neue Arbeitsbelastungen muss hier vorweg in Angriff genommen werden.

Es ist bereits 5 nach 12

Es gilt der Anspruch, dass am gegebenen Standort verfahrensbezogene Prüfungen und Anpassungen aller vorhandenen betrieblichen Maßnahmen vorzunehmen sind, um eine einigermaßen stabile Anbausituation herzustellen. Diese Vorgehensweise ist aufwendig, aber wertschöpfend – und nur darum geht es in der betrieblichen Praxis.

Literatur:
Dr. Jean Wagner, Charlotte Hogrefe, 2015, unter www.plantalyt.de
DLG-Merkblatt 432, 2018, unter www.dlg.org
DLG-Merkblatt 4449, 2019, unter www.dlg.org
HRAC lfd., unter www.hracglobal.com
AGES 2015: „Unkräuter mit Herbizidresistenz in Österreich“, unter www.igpflanzenschutz.at
Julius-Kühn-Archiv 434, 2012, unter www.julius-­kuehn.de