Pflanzenschutz – Fachartikel

Ein Lob auf Räuber, Parasiten und Schmarotzer

Ein Artikel von Dr. Marion Seiter | 19.01.2021 - 13:16

Nützlinge sind Räuber oder Parasiten, die einen bedeutenden Teil der Schädlinge, wie Insekten, Milben oder Schnecken, fressen bzw. parasitieren. Bienen zählen daher nicht zu den Nützlingen, und von ihnen soll hier nicht die Rede sein.

Es gibt unzählige Nützlinge: Marienkäfer, Laufkäfer, Kurzflügler, Florfliegenlarven, Raubwanzen und viele mehr. Im Regelfall finden sie im Feld nie genug Nahrung, sie haben also permanent Hunger. Gut für uns. Der Siebenpunkt Marienkäfer (Cocinella septempunctata) beispielsweise frisst während seiner Entwicklung u. a. über 600 Blattläuse und macht zwei Generationen, der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) frisst rund 360 Blattläuse, macht mehr als eine Generation im Jahr und hat keine Feinde. Die Schwebfliege (Syprhidae spp.) frisst 660–1.140 Blattläuse je Tag. Die Florfliege (Chrysopidae spp.) liebt Blattläuse, ihre Larven (Blattlauslöwen) fressen bis zu 500 Läuse aber auch Milben und andere kleine Insekten.

Oft sind die Tiere unscheinbar, ihr Vorhandensein ist uns nicht bewusst, wir sehen sie nicht, aber sie sind da – und nicht einmal so wenige. In einer Getreidefläche befinden sich rund 35 % Nützlinge, nur 3 % Schädlinge und 62 % indifferente Insekten (weder nützlich noch schädlich).

Sie sehen, in unseren Feldern schlummert ein ungenutztes Potenzial, das wir vollkommen ignorieren. Dabei gibt es zumindest zwei gute Gründe, Nützlinge zu schonen.

Einerseits weil wir uns um die Bio­diversität sorgen, vor allem aber weil wir sie brauchen.

Resistenzen auf dem Vormarsch

Denn bald geht fast nichts mehr, Resistenzen drohen. Pyrethroidresistente Schädlinge gibt es auch in Österreich. Der ständige Einsatz von Insektiziden, noch bevor die Schadschwelle erreicht wird, trieb uns in die Resistenzfalle.

Auf manchen Standorten ist eine insektizide Bekämpfung bereits unmöglich geworden, nur die Nicht-Behandlung bringt Entspannung. Dann können Sie zusehen, wie Ihre Ernte bildlich „aufgefressen“ wird ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Doch soweit muss es nicht kommen.

Der kluge Landwirt beugt vor, indem er beginnt, Nützlinge zu nutzen. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern bedarf einer regen Auseinandersetzung (erkennen, informieren, fördern).

Die Nützlinge schlicht zu fördern und sie arbeiten zu lassen ist dem Landwirt im Regelfall zu unberechenbar. Es erzeugt ein mulmiges Gefühl in der Magengrube.

Vielleicht können wir Skeptiker für Nützlinge gewinnen, wenn wir sie quantifizieren:

Nicht alle Nützlinge fressen gleich viel. Um ihre Leistung vergleichbar zu machen hat Freier et al. die „prädator unit“ (= PU; Räubereinheit) entwickelt. Ein Siebenpunkt Marienkäfer frisst je Tag 120 Blattläuse (PU = 1), der Moos-Schnellräuber frisst lediglich 10 Blattläuse täglich (PU = 0,003). Letzterer ist somit ein weniger potenter Nützling, das drückt sich in einem geringeren PU-Wert aus.

Um nun einen Blattlausbefall in einem Weizenfeld zu bremsen ist theoretisch ein PU-Wert von > 5/m2 nötig. Dazu wären z.B. vier Marienkäferlarven, zwei Marienkäfer und fünf Hainschwebflieben je m2 notwendig. Das ist Theorie – in der Praxis sieht man, dass 15–68 PU/m2 notwendig sind, um eine Blattlauspopulation sicher zu stoppen –  also viel, viel mehr. Es läuft eher auf ein „So viel wie möglich“ hinaus. Das ist machbar.

Wer angesichts dessen glaubt, ein ­Insektizideinsatz sei noch immer die bessere Methode da er zu 100 % wirkt, der irrt gewaltig. Diese Wirkungsgrade haben wir längst nicht mehr, heute müssen wir uns eher mit 60–70 % Insektizidwirkung begnügen.

Alle fliegen auf den Raps

Jene Kultur, in der momentan am häufigsten Insektizide eingesetzt werden, ist der Raps. Durch den Wegfall der insektiziden Beizen sind erwiesenermaßen noch mehr Überfahrten notwendig. Eine ganze Reihe an Schädlingen ist ganz verrückt nach Raps: Rapsglanzkäfer, Großer Rapsstängelrüssler, Gefleckter Kohltriebrüssler, Kohlerdfloh, Kohlschotenmücke und Kohltriebrüssler. Zum Glück haben sie eine Menge Gegenspieler wie Laufkäfer-, Kurzflügelkäfer und Spinnen. Diese Räuber schnappen sich die Schädlinge dann, wenn sie zur Verpuppung in den Boden abwandern. Dabei sind sie offenbar ziemlich erfolgreich. 45–80 % (nach Ulber) der Schädlinge können von ihnen vertilgt werden – nicht schlecht.

Die leistungsfähigsten Nützlinge im Raps aber sind die Schlupfwespen (Ichneumonidae). Sie sind wirtsspezifische Parasiten und mögen nicht jeden dahergelaufenen Rapsschädling. Die eine Art mag mehr den Kohlerdfloh, die andere den Kohlschotenrüssler usw. Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass z.B. bis zu 83 % des Rapsglanzkäfers parasitiert und somit außer Gefecht gesetzt werden können, wenn alles passt. Schlupfwespen entwickeln sich dann in der Wirtslarve und überwintern als fertiges Insekt im Boden.

Dass Schlupfwespen im Raps tatsächlich auf Achse sind, zeigt die Aufnahme vom 2. Mai diesen Jahres in Oberösterreich. Zu diesem Zeitpunkt sind oft große Schwärme der Schlupfwespe ­Tersiolochus heterocerus (s. Abb. 1) im Blütendach zu beobachten, sie suchen in der Blüte nach Eiern bzw. Larven von  Rapsglanzkäfern. Haben sie eines gefunden, stechen sie es an und legen ein eigenes Ei hinein.

Diese Nützlinge werden oft fälschlicher Weise für Kohlschotenmücken (Dasineura brassicae, s. Abb. 2) gehalten, die gleichzeitig fliegen. Sie sehen das Dilemma: Wichtig ist es also, relevante Nützlinge zu erkennen um nicht aus Unwissenheit falsche Maßnahmen zu setzen.

Wer frisst an meinem Getreide?

Im Getreide macht uns vor allem das Getreidehähnchen (Rothalsiges und Blaues) Sorgen, aber auch Blattläuse. Das Hähnchen wandert im Frühling von Waldrändern und Hecken zu. Heuer wurden die ersten Käfer bereits Mitte März gefunden. Der Käfer frisst längliche Fenster in die Blätter, was noch nicht schadet. Aus den Eiern die er legt, schlüpfen die bekannten, mit feuchtem Kot bedeckten Larven. Die haben so richtig Hunger. Sie können bis zu 3,6 cm2 eines Fahnenblattes auffressen. Besonders gefürchtet ist der Schaden zu Recht bei trockener, heißer Witterung. Vor allem im Hafer oder im Winterweizen können die Hähnchen das Fahnenblatt dermaßen auffressen, dass die Pflanze keine Assimilate einlagern kann, und die Körner buchstäblich verhungern, sprich das TKG sinkt.

Aber auch das Hähnchen hat Feinde, da sind zunächst die Generalisten. Das sind die, die einfach fressen. Der Blattlauslöwe (Larve der Florfliege, s. Abb. 3), die Marienkäferlarve, die Raubwanzen und einige Kurzflügler. Sie alle fressen wahllos einfach Eier und/oder Larven, je mehr von ihnen da sind, desto mehr wird weggefressen. Die bedeutendsten Gegenspieler des Getreidehähnchens aber sind Spezialisten: die Erzwespen.

Erzwespen sind Parasiten, sie können entweder die Larve oder die Verpuppungszelle (Kokon) des Hähnchens parasitieren.

Das Rothalsige Getreidehähnchen wird vor allem von Larvenparasiten heimgesucht (Tetrastichus spp.). Larvenparasiten entwickeln sich in der Hähnchenlarve, bleiben bis die Larve ihren Kokon gebaut hat und höhlen dann die Larve aus, bis eine Hülle voll mit Erz­wespen übrig bleibt. Das Blaue Getreidehähnchen wird sowohl von Larven- als auch von Kokonparasiten befallen. Die Erzwespe Necremnus leucarthros (s. Abb. 4) hat hier besondere Schlagkraft. Ein unscheinbares Tier, gerade mal 3 mm groß. Die metallisch glänzende Wespe sticht den Schaumkokon des Hähnchens an, die Larve wird gelähmt oder getötet. Sie legt die Eier an die Larven im Kokon. Da die Erzwespen-Weibchen von außen nicht unterscheiden können, welcher Kokon schon belegt ist und welcher nicht, kommt es nicht selten zu „Mehrfachbelegungen“.

Ohne parasitische Wespen, wie die Erzwespen, würden sich alle anderen, zumeist vegetarisch lebenden Insektenarten explosionsartig vermehren.

Die Blattlaus steckt überall ihren Rüssel rein

Blattläuse sind gefräßige Tierchen, sie können sich explosionsartig durch Par­thenogenese (Jungfernzeugung) vermehren, haben bis zu 40 Generationen pro Jahr, und es gibt beinahe keine Pflanze, die sie nicht ansaugen. Dabei erzeugen sie Honigtau, der einfach nur klebrig ist, was jeder weiß, der sein Auto schon einmal unter einem von Blattläusen bewohnten Baum geparkt hat. Für Bienen ist dieser notwendig, da sie ihn sammeln und daraus Honig machen.

Im Ackerbau aber können die Blattläuse Erträge wegsaugen, bis zu 20 kg/ha in Getreide, bis zu 50 % in Ackerbohne usw. Den meisten Schaden aber richten sie nicht über direkte Ernteverluste aufgrund ihres Saugens an, sondern vor allem als Vektoren von Viren.

Die Grüne Pfirsichblattlaus (Myzus persicae) z.B. ist gefürchtet, da sie die Blattrollkrankheit und den Kartoffel Y-Virus in Kartoffel und den Wasserrübenvergilbungsvirus in Raps überträgt.

Die Schwarze Bohnenblattlaus (Aphis fabae) kann bis zu 30 Viren übertragen.

Kein Wunder also, dass sie keiner will. Im Tierreich aber sind sie ein beliebter Festtagsbraten – frisch, saftig und weich, ein echter Leckerbissen.

Vor allem der heimische Siebenpunkt Marienkäfer (Coccinella Septempunctata) und der Vierzehnpunkt-Marienkäfer (Propylea Quatuordecimpunctata), aber auch die Larven der Schwebfliege (Syrphidae, s. Abb. 5) und der Florfliegen (Chrysopidae, s. Abb. 3) lieben diese Leckerbissen. Doch nicht jeder von ihnen frisst gleich viel, auf die Mischung kommt es an.

Dies sind nur wenige Beispiele. Damit ein Nützling einen Schädling unter der Schadschwelle halten kann, ist noch viel mehr nötig, alleine die Temperatur spielt schon eine große Rolle. Die Blattlaus z.B. hat ihr Temperaturoptimum bei 22°C, der Marienkäfer aber wird erst ab 25°C aktiv. Bei Temperaturen unter 25°C kann die Blattlaus munter Pflanzensaft saugen ohne vom Marienkäfer gestört zu werden, denn der kuschelt noch im Warmen.

Nützlinge fördern ist notwendig, aber kompliziert, und man wird es nicht allen recht machen können, denn jeder dieser Nützlinge hat spezifische Bedürfnisse.

Sollen nämlich Schlupfwespen gefördert werden, muss auch auf die Bodenbearbeitung nach Raps geachtet werden. Die Tiere verpuppen sich im Boden und verbringen dort den Winter. Bei Grubbereinsatz und Direktsaat nach Raps überleben mehr Schlupfwespen als bei der Verwendung des Pfluges. Ist dennoch eine Insektizidanwendung in Raps notwendig, muss dieser zeitlich abgestimmt werden. Frühe Behandlungen gegen Stängelrüssler sind meist bedenkenlos. Die meisten Schlupfwespen sind zur Blüte unterwegs, die Blütenbehandlung sollte daher gut überlegt sein. Bei einer Insektizidbehandlung werden immer auch Nützlinge miterfasst.

Werden nützlingsschonendere Insektizide eingesetzt, und wird der Applikationszeitpunkt auf die Aktivitätszeiten der Schlupfwespen abgestimmt, ist schon vieles gewonnen. Wie stark die gängigen Insektizide in Raps Schlupfwespen schädigen, ist nicht ganz eindeutig. Zur Orientierung können Sie das deutsche Pflanzenschutzmittelregister heranziehen. Jedes Insektizid (Wirkstoff) ist dort auch bezüglich seiner Wirkung auf Nützlinge charaktierisiert.

Um Erzwespen zu fördern bedarf es hingegen eines ganz anderen Ansatzes. Zum einen braucht eine Erzwespe immer einen lebenden Wirt, ist also vom Vorhandensein des Schädlings abhängig. Dies wiederum bedeutet, dass auch ein gewisses Ausmaß an Schädlingen toleriert werden muss. Der Larvenparasit des Hähnchens z.B. überwintert in Getreidestoppeln, diese sollten demnach am Feld bleiben. Marienkäfer überwintern z.B. in Feld- und Waldrändern, um sie zu fördern ist ein gewisses Maß an Kleinstrukturiertheit notwendig. So hat jedes Insekt seine eigenen Ansprüche. Sind aber keine Schädlinge da, treffen sich alle Nützlinge dort, wo es blüht, in den Blühstreifen. Denn Prädatoren und Räuber ernähren sich alternativ von Pollen, Nektar und Honigtau.

In Oberösterreich beginnt sich die LK für Blühstreifen stark zu machen, Auslöser dafür war die Biene. In der Schweiz aber ist die Land(wirt)schaft ohne Blütenstreifen nicht mehr vorstellbar. Im Rahmen des sogenannten Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) legen die Bauern dort bereits seit 1994 Buntbrachen und seit 2015 Blühstreifen an und erhalten dafür Direktzahlungen. Blühstreifen werden als Teil des integrierten Pflanzenschutzes, als vorbeugende Maßnahme gegen Schädlinge eingesetzt. Buntbrachen (2–8 Jahre), Säume (mehr als zwei Jahre) und Blütenstreifen für Bestäuber und andere Nützlinge (ein Jahr) werden gefördert.

Die Förderung beläuft sich, abhängig von der Nutzungsdauer, auf umgerechnet zwischen 3.331 €/ha/Jahr und 2.191 €/ha/Jahr – das schafft Anreize. Natürlich sind auch die Saatgutmischungen dementsprechend teuer (Einjährige Blühstreifen: 530–1.090 €/ha). Ein ähnliches System in Österreich könnte dazu beitragen, den Blühflächenanteil zu erhöhen. Dieser Artikel reicht lange nicht aus, um auf die einzelnen Nützlinge und Schädlings/Nützlings-Systeme eingehen zu können. Halten wir aber fest: Aufgrund schwindender Wirkstoffe und auftretender Resistenzen sind wir auf Nützlinge angewiesen. Wir müssen daher anfangen, sie zu fördern. Mit etwas Fingerspitzengefühl können schon heute Nützlinge genutzt werden, indem die insektiziden Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt mit „nützlingsschonenderen“ Pflanzenschutzmittel gesetzt bzw. nur nach Erreichen der Schadschwelle bekämpft werden. ■

Die Autorin

Dr. Marion Seiter, LK Oberösterreich